Der Augenzeuge
26. Oktober 2011
Geschichte und Wahrheit im epochenübergreifenden Vergleich
Tagung
In einer seiner letzten Vorlesungen, die er am Collège de France hielt, setzte sich Michel Foucault (1926-1984) aus der Perspektive des Philosophen, der nach Universalien strebt, eingehend mit der Praxis des Wahrsprechens auseinander, eine Praxis, die in der antiken Ideenwelt beheimatet war und als Ideal aber über die Jahrhunderte hinausstrahlte. Foucaults Interesse galt der heroischen Figur des Parrhesiasten, der – wie der in Lumpen gehüllte Diogenes – furchtlos vor die Mächtigen dieser Welt tritt, um ihnen die Wahrheit zu sagen. Um dem Parrhesiasten schärferes Profil zu verleihen, kontrastiert Foucault seinen Helden mit einer Reihe wesensverwandter Figuren, die jede auf ihre je eigene Art und Weise den Anspruch verkörpert, Wahres zu verkünden: der Fachmann, der Lehrende, der Weise, der Prediger, der Prophet, letztlich auch der Märtyrer. So unterschiedlich Foucaults ‚Wahrsprecher’ im Einzelnen auch sein mögen, ihnen gemein ist, dass ihre Wahrheit mit einer Mission verbunden ist. Dieser missionarische Zug fehlt dem Augenzeugen, der im Mittelpunkt der Tagung stehen soll.
Der Augenzeuge soll berichten, was er gesehen hat. Seine Wahrheit liegt im Bereich des Evidenten, im körperlichen Dabeigewesensein und im sinnlichen Gesehenhaben.
Seine disziplinäre ‚Heimat’ ist nicht die Philosophie, auch nicht das Recht, sondern von Anfang an die Geschichtsschreibung und der Reisebericht, eine Gattung, die der Geschichtsschreibung über die Jahrhunderte hindurch sehr nahe steht. In Antike und Mittelalter schwebte die Aussage desjenigen, „der dabei gewesen ist und es mit eigenen Augen gesehen hat“ (Isidor von Sevilla) theoretisch noch über allen anderen Formen und Figuren der historiographischen Authentifizierung. Reinhart Kosselleck (1923-2006) zufolge hätten erst die Geschichtstheoretiker der Aufklärung mit dieser säkularen Tradition gebrochen, als sie den Augenzeugen und mithin den Historiker seiner Zeitund Standortgebundenheit ‚überführten’.
Zäsuren zu ziehen fällt allerdings schwer, denn die Praxis sah meist ganz anders aus als die Theorie. Die Praktiker waren meist kritischer als die Theoretiker. In der Praxis nämlich reichte es selten aus, einfach nur dabei gewesen zu sein. Weitere Kriterien waren zu erfüllen, um dieser Wahrheit „so nahe wir nur möglich zu kommen“.
Die Diskussionen, die Zeitgenossen über den Augenzeugen führten, aber auch die Augenzeugenberichte selbst, zeigen, obschon auf unterschiedliche Weise, dass die Figur des Augenzeugen um einiges vieldeutiger ist als auf Anhieb zu vermuten.
Programmflyer zum Download s. unten
Mi-Fr, 26.-28. Oktober 2011, ab 18 Uhr s.t.
Universität Konstanz, K 7 (Mi), Senatssaal V 1011 (Do und Fr)
Kontakt
Prof. Dr. Gabriela Signori
Universität Konstanz
Fach Geschichte
Postfach 2, 78457 Konstanz
Raum E 322
Tel. 07531 88-2472
bei Fragen: Amelie.Roesinger[at]uni-konstanz.de
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Flyer-Augenzeuge.pdf296 Ki